Rückmeldung einer Betroffenen über ihre Erfahrungen beim Regensburger Borderline-Trialog. Auf Wunsch der Betroffenen veröffentlichen wir den Erfahrungsbericht anonym.

 

Meine Erfahrungen mit dem Borderline-Trialog

 

 

Die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung bekam ich nach vielen Jahren der Irrungen und Wirrungen Mitte 2014. Ich kann mich erinnern, es fühlte sich unwirklich an, wie eine Verlegenheitsdiagnose. Durch meine Beschäftigung mit Traumaauswirkungen und meinem Kontakt mit verschiedenen Betroffenen kannte ich den Begriff und hatte alle üblichen Klischees gehört. Ich hätte mich diesem Bereich eher nicht zugeordnet.

 

Mittlerweile weiß ich, es gibt Eigenschaften, die treffen auf mich zu, andere, wie die innere Leere und das krampfhafte Vermeiden von Einsamkeit, sind mir fremd. Weil aber eben Borderline nicht gleich Borderline ist und eine Persönlichkeitsstörung sich ganz verschieden zeigen kann, zählt am Ende das Ergebnis und das Einlassen auf das Thema war mein Segen!

 

Über eine Information in der Therapiegruppe wurde ich auf den ersten Borderline-Trialog in Regensburg aufmerksam. Damals war ich noch stark im Griff meiner Angst- und Panikstörung und ein Besuch einer so großen Veranstaltung war die absolute Horrorvorstellung. Dies bestätigte sich auch gleich in Form einer Panikattacke beim ersten Betreten des Raums. Am liebsten wäre ich sofort wieder umgekehrt, so schnell wie möglich geflohen.

 

Glücklicherweise hat die Struktur des ersten Abends mir den Einstieg erleichtert. Informative Vorträge über Borderline und eine kurze Einführung in Sinn und Zweck eines Trialogs erlaubten es mir, in der letzten Reihe nahe der Tür zu sitzen, mir das alles erst einmal anzuschauen und auf mich wirken zu lassen. Unsichtbar zu bleiben.

 

Danach folgten vier thematisch festgelegte Abende, an denen ungefähr dreißig Leute im großen Kreis sitzen. Es war mein erster Umgang mit Pflegern, Therapeuten und Ärzten der Psychiatrie außerhalb eines therapeutischen Umfelds. Dieses Setting auf Augenhöhe hat mir persönlich dabei geholfen, mehr Distanz zu meiner Erkrankung zu erlangen und den gesunden Anteil in mir in Interaktion zu erleben - auch wenn der noch ganz still und leise vor allem Mäuschen gespielt hat und ich mich gerade zwei oder drei Mal mit großer Mühe dazu durchringen konnte, in der großen Runde einen kleinen Beitrag zu leisten.

 

Dabei kann ich mich gut erinnern, dass ich vor allem Rückhalt bei den anwesenden Therapeuten und Ärzten suchte, genau beobachtet habe, wie diese auf das Gesagte reagieren. Kann ich als Laie denn überhaupt etwas Sinnvolles beisteuern? Darf man den Profis widersprechen? Gerade dieses Thema habe ich mit in die Therapie genommen und zusammen mit meinem Therapeuten versucht, in diesem Geflecht aus Angeboten und Bedürfnissen meinen Raum zu finden. Wo ist mein Platz als “die Kranke”, “die Gestörte”?

 

Im Rahmen solcher Veranstaltungen erlebt man das therapeutisch/medizinische Team von einer Seite, die im normalen, gerade klinischen Alltag kaum möglich ist, nämlich als Fragesteller, als Infragesteller, als Lernende. (Vielleicht auch mal ein spannendes Thema für einen Trialog: Wie viel “professionelle Unsicherheit” verträgt die Psychiatrie?) Für mich war das gemeinsame Suchen nach Antworten ein wichtiger Baustein auf dem Weg meiner Heilung. Es hat mich nicht verunsichert, sondern mir im Gegenteil gezeigt, dass für meine Wahrnehmung ein Raum existiert, meine Erfahrungen einen Wert haben. So hat auch letztendlich der Trialog mich zu “einem Profi auf dem Gebiet meiner Erkrankung” gemacht. Ich kann mit neuem Selbstbewusstsein viel eher das in der Therapie einfordern, was mir hilft.

 

Auch die Angehörigen in ihrer Verzweiflung und Ratlosigkeit zu erleben, war für mich ein entscheidender Lernprozess, der mir einen Weg zurück zu meiner Familie geebnet hat. Ich kann mittlerweile vieles besser verstehen. Und auch hier habe ich gelernt, ganz anders für mich und meine Bedürfnisse zu sorgen, was eine große Entspannung in die Beziehungen gebracht hat.

 

Vor allem auch Betroffene außerhalb von Therapie- und Selbsthilfegruppen zu erleben, zu sehen, wie viel man trotz aller inneren Hürden und Stolpersteinen auf die Beine stellen kann, macht mir Mut. Ich habe für mich eine eigene Definition von Persönlichkeitsstörungen gefunden: Wo der Mensch mit überwiegend starken, selbstsicheren und gesunden Anteilen seine Kraft im Kampf nach außen bündeln kann, straucheln wir “Gestörten” häufig über das eigene Ich. Oder anders gesagt: das Leben ist für die meisten Menschen olympischer Zehnkampf, aber meine Psyche tritt im paralympischen Team an - mit zusätzlichen Erschwernissen.

 

Wo es beim ersten Trialog noch die große Herausforderung war, nur dort zu sein, nicht in Panik zu fliehen, zuzuhören, zu staunen, hatte ich beim zweiten Trialog bereits das Bedürfnis: Ich will gehört und verstanden werden! So bin ich dem Organisationsteam sehr dankbar für die Möglichkeit, einen kurzen Vortrag über meine Erfahrungen mit dem DBT-Training zu halten.

 

Die Erfahrungen aus zwei Borderline-Trialogen konnte ich definitiv mit in den Alltag nehmen. Ich habe nicht nur an mir gearbeitet, meine Beziehungen zur Außenwelt neu definiert, ich habe auch Mut und Entschlossenheit gefunden, meine ehrenamtliche Arbeit in der Selbsthilfe auszubauen.

 

Mein Fazit ist: Neben allen therapeutischen Maßnahmen und dem Austausch in Selbsthilfegruppen hat auch der Trialog seinen Anteil daran, dass ich im fünften Jahr der Diagnosestellung die gesunden Anteile  in mir viel mehr wahrnehme, fördere und verteidige. Damit möchte ich meinen Dank an das ganze Team aussprechen für die Arbeit und das Engagement, das zu so einer Veranstaltung gehört! Ich bin auf jeden Fall im Herbst wieder dabei!